Komfortzone ade

Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, wie schlecht das Internet hier teilweise funktioniert. Das kann echt frustrierend sein. Von den regelmäßigen Stromausfällen mal abgesehen. Daher folgen heute zwei Blog-Einträge und ich habe dem letzten Beitrag noch einige Fotos hinzugefügt.

Es ist viel passiert, aber ich beginne chronologisch. Am Donnerstag folgte der zweite Tag mit Schulbesuchen, jedoch starteten wir auf eine andere Art. Zuerst ging es zu einer Frau, die in der Hälfte ihrer kleinen Wohnung bzw. eher ihres kleinen Zimmers einen Vorhang gezogen und eine Art Kosmetiksalon eröffnet hatte. Wegen ihrer erkrankten und geistig behinderten Tochter musste sie sich um diese kümmern und ihren Salon kurzzeitig vernachlässigen, woraufhin sie scheinbar den Großteil ihre Kundschaft verloren hat. Daraufhin hat auch Weitsicht e.V. mit einer Spende geholfen, um den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Wir wollten die Frau besuchen und auch die Tochter, die mit 17 Jahren nicht älter aussieht als 13, da sie in ihrer Entwicklung zurückgeblieben ist. Sie geht in eine Schule, wo sie nähen lernen soll, was sie jedoch sowohl geistig als auch körperlich überfordert. Die Sozialarbeiterin sprach mit der Lehrerin der Nähschule, um mit dieser herauszufinden, ob die junge Erwachsene richtig aufgehoben ist.

Als nächstes fuhren wir zu einer handwerklich orientierten Schule für Taubstumme, wo auch Jugendliche und junge Erwachsene mit anderen Behinderungen stricken, nähen und andere Handwerke lernen. Hier wird das Mädchen vielleicht besser aufgehoben sein und in ihrem eigenen Tempo lernen können. Um euch eine Vorstellung davon zu machen, wie teuer Bildung hier ist: für ein Trimester, also ein Dreiviertel Jahr, muss man in solch einer Einrichtung ca. 530.000 Ugandische Schilling zahlen, das sind etwa 125 Euro, was hier natürlich sehr viel Geld ist.

Nach dieser Recherche ging es weiter in die letzte Schule für den Tag, wo alles recht schnell ging, weil das Mädchen eine fleißige Schülerin ist, das Trimester bezahlt war und auch sonst alles gut lief.

Am Abend ging ich das erste Mal mit anderen aus meiner Unterkunft zum Box Fitness, was sehr anstrengend aber auch spaßig war. Es waren 6 Frauen und 5 Männer da (insgesamt 8 Ugander und 3 Mzungus), die teilweise schon sehr fortgeschritten waren. Davon muss ich euch bei Gelegenheit mal ein Video oder Fotos schicken, weil ich die Atmosphäre nicht in Worte fassen kann. Man macht erst sehr anstrengende Übungen und dann gibt der Trainer einem einzeln Anweisungen, bei denen man auf sein Boxing Pad schlägt oder kickt. Währenddessen stehen alle anderen drumherum und feuern einen an, ansonsten hört man nur die Schläge auf das Pad (eine Art Kissen, das der Trainer an beiden Händen befestigt hält). Sehr laut sag ich euch - und wir haben viel gelacht.

Am Freitag war die Sozialarbeiterin krank, weshalb ich ein anderes Team zum Hausbesuch begleitete. Zuerst fuhren wir aber noch an einem Hostel für krebskranke Kinder vorbei, um Morphium vorbeizubringen. Ich wartete mit dem Fahrer und einer der Krankenschwestern vor der Tür, als der Patient, ein kleiner Junge, mit seinem Vater, der Krankenschwester und einem Helfer von Reach out (eine Organisation gegen HIV) heraustrat. Der Junge hat Krebs am Auge, welches mittlerweile vom geschwollenen Tumor eingenommen wurde, weshalb er nur noch ein funktionsfähiges Auge hat. Dieser Anblick war wirklich grauenhaft und ich war nicht darauf vorbereitet. Mir wurde aber nicht schlecht und ich musste auch nicht weinen, da mein Gehirn mir glaube ich im Schock signalisierte, dass das nur ein Film sei, nicht real. Die letzte Bilderreihe ist von diesem Jungen, da ich denke, dass man es sich sonst einfach nicht vorstellen kann. Wer sich das nicht ansehen möchte, scrollt bitte nicht nach ganz unten.

Der Vater des Jungen bedankte sich bei uns allen und wir fuhren weiter. Was ich nicht wusste: auf dem Weg rief jemand an und bat die Krankenschwester, im Krankenhaus vorbeizuschauen, um nach einem Patienten zu schauen. Viele Ärzte und Krankenpfleger hatten mich vorgewarnt und mir immer gesagt: “Ins Krankenhaus willst du nicht, glaub mir”. Es ging nämlich auf die Kinderstation. Das wurde mir erst bewusst, als ich über der Tür “children’s ward” las und eine der Krankenschwestern mich fragte, ob ich Angst hätte. Zunächst war mir nicht ganz klar, wovor, doch als ich die Kinderschreie aus dem Gang hörte, konnte ich es mir denken. Ich konnte aber beim Entlanglaufen des Ganges gar nicht viel sehen. Die Kinder lagen in ihren Betten oder saßen, wobei einige Betten gar nicht belegt waren. Auf dem Boden vor den Betten saßen Eltern auf Decken oder Strohmatten. Einige aßen, anderen unterhielten sich, soweit es bei der Geräuschkulisse möglich war. Ein Kind von 5 Jahren erhielt gerade eine Chemotherapie, die über einen Tropf zugeführt wurde. Mir war vorher ehrlich gesagt nicht bewusst, wie eine Chemo genau abläuft. Als das Kind mit dem lauten Geschrei und Weinen langsam ruhiger wurde, war das nächste Kind dran. Ich stand in der Nähe des Bettes und sah mit an, wie die Mutter versuchte, es zu beruhigen, eine Decke darüber zu legen, ihm gut zuzusprechen, die weggestrampelte Decke wieder aufzulegen. Wie hart das erst für die Mutter und andere Familienangehörige sein muss, wenn ich schon am liebsten mitgeweint hätte. Nach einiger Zeit kam die eine Krankenschwester wieder auf mich zu, die gefragt hatte, ob ich Angst hätte, und nahm mich mit raus. Sie setzte mich zu anderen, die vor einem Fernseher saßen und warteten. Wahrscheinlich war das besser so, da ich ohnehin nur herumstand und nicht wusste, was ich tun oder wie ich helfen konnte.

Die Krankenschwestern des Hospizes sind wirklich sehr empathisch und kümmern sich sehr rührend um ihre Patienten, aber auch ihre Mitmenschen. Sie scherzen mit ihnen, umarmen einige, reden mit den Familienangehörigen und haben auch für diese ein offenes Ohr. Das ist das Besondere an diesem Hospiz: es geht um Hospitability, also um Gastfreundlichkeit. Die Patienten werden als Gäste angesehen, sowie auch ihre Familien. Die Palliativmedizin (eine Schmerztherapie), die sie verfolgen, hat als oberstes Ziel, dem Patienten eine gute (unter Umständen) letzte Zeit zu bescheren. Frei von Schmerzen und frei von Sorgen, wie “Was wird aus meinen Kindern? Werden sie zur Schule gehen und arbeiten können? Was wird aus dem Rest meiner Familie? Wer wird sich kümmern?” usw. Das Hospiz nimmt sich solchen Patienten und ihren Familien an.

Nach dem Krankenhausbesuch ging es noch zu einigen Stationen, wo wir nur Morphium vorbeibrachten und am Ende waren wir bei einer 92jährigen Frau, die Hautkrebs hatte und von ihren beiden Enkeln versorgt wurde. Wieder wurden wir nur in ein kleines Zimmer geführt, welches mit PVC Boden ausgelegt worden war, alles sehr spärlich. Der Helfer von Reach Out massierte ihr ein wenig die schmerzenden Hände und die Frau wirkte recht zufrieden. Auf dem Rückweg kauften wir Rolex, die ugandischen Wraps, für 1.500 Schilling anstatt wie im Restaurant 7.000 (etwa 0,35 Euro anstatt 1,65 Euro); dieses Mal aber auch nur mit Ei, Zwiebeln und Tomaten gefüllt.

Zuhause angekommen sah ich noch kurz mit den anderen fern, packte für das Wochenende und ging mit vielen Eindrücken kaputt ins Bett.

Das Zimmer mit dem Salon von außen

Das Zimmer mit dem Salon von außen

Der mit dem Vorhang abgetrennte Salon - die Frau (auf dem Boden sitzend) entwirft außerdem noch Taschen und häkelt Waschlappen

Der mit dem Vorhang abgetrennte Salon - die Frau (auf dem Boden sitzend) entwirft außerdem noch Taschen und häkelt Waschlappen

Die Nähschule (ohne die Tochter)

Die Nähschule (ohne die Tochter)

Die letzte Station in der Schule am Donnerstag - man beachte die Wandplakate im Sekretariat (z.B. “PUSH: Pray Until Something Helps”)

Die letzte Station in der Schule am Donnerstag - man beachte die Wandplakate im Sekretariat (z.B. “PUSH: Pray Until Something Helps”)

Mit der 92jährigen

Mit der 92jährigen

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Das nenne ich mal Recycling! Irgendwelche zusammengetackerten Testblätter dienten als Halterung um den Wrap

Das nenne ich mal Recycling! Irgendwelche zusammengetackerten Testblätter dienten als Halterung um den Wrap

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Das Hostel für krebskranke Kinder

Das Hostel für krebskranke Kinder

Der Junge mit seinem Vater und einer Krankenschwester

Der Junge mit seinem Vater und einer Krankenschwester

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Scheku Anwar